Was ist guter, videobasierter Unterricht?

Aufgrund der aktuellen Situation wird zunehmend laut über Alternativen zu den klassischen Unterrichtsbesuchen nachgedacht. Referendar*innen sind in dieser Zeit besonders gefordert. Sie sollen nicht nur guten Unterricht, sondern gleich guten, videobasierten Fernunterricht gestalten. Dass das eine nicht mit dem anderen gleichzusetzen ist, wird bestätigen, wer den Versuch einer Videokonferenz mit Schüler*innen wagt. Trotz jahrelanger Unterrichtserfahrung und digitaler Kompetenzen ist ein solches Format herausfordernd, soll es für die Teilnehmenden lernwirksam sein. 


Referendar*innen leisten Großartiges, wenn sie mit den digitalen Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung experimentieren und sich so weitgehend selbst Neues aneignen. Dass dieses Engagement als alternativer Teil der Ausbildung gewürdigt wird, ist sinnvoll und sollte selbstverständlich möglich sein.  Am ZfsL Siegen gibt es für die Zeit der Corona-Krise (Stand 25.04.2020) folgende Vorgaben für zwei derartige Formate: 

1. Real stattfindende online gestützte Lerneinheit

  • Zeitrahmen: Max. 60 min Lerneinheit (live Zuschaltung)

2. Einblick in real gehaltene online-gestützte Lerneinheit in Form eines Fachgesprächs (Lernen auf Distanz)

  • Der LAA stellt die Lerneinheit (Lernen auf Distanz) möglichst umfassend und detailliert dar. Dabei bietet es sich an, folgende Aspekte zur Stunde zu thematisieren: 
    • Mediendidaktisches Design der Lernumgebung
    • Struktur (ggf. auch Zeitangaben)
    • Rhythmisierung
    • Lehrer/SuS. handeln
    • Antizipation
    • Arbeitsaufträge
    • Leitimpulse (z. B. für Gruppenarbeit)
    • Visualisierungshilfen
    • Ggf. Simulation von Gesprächsphasen

Spätestens, wenn ein solches Fachgespräch als alternatives Ausbildungselement geplant wird, stellt sich Referendar*innen die Frage nach den Merkmalen guten, videobasierten Fernunterrichts bzw. Seminarausbilder*innen die Frage nach den Kriterien der Beratung. Antworten findet man inzwischen in verschiedenen spannenden Berichten im #Twitterlehrerzimmer unter #distancelearning. Hier versuche ich, eigene Erkenntnisse  darzustellen und durch Berichte von Kolleg*innen zu ergänzen. Zum Schluss wird ein videobasierter Unterrichtsverlauf nach dem klassischen Phasenmodell skizziert. 

Technische und organisatorische Hinweise

Nach den ersten Wochen videobasierten Unterrichts teilen im #twitterlehrerzimmer viele Kolleg*innen ihre Erfahrungen und liefern hilfreiche, technische und organisatorische Tipps. Deshalb beschränke ich mich hier auf zwei Hinweise.

Mikrofon

  • Ab einer bestimmten Gruppengröße ist es sinnvoll, die Mikrofone der Teilnehmenden stumm zu schalten, um Rückkopplungen und störende Hintergrundgeräusche zu vermeiden. Die Mikrofone können dann gleichzeitig als „Meldeinstrument“ verwendet werden. Wer etwas sagen möchte, schaltet sein Mikrofon ein und signalisiert damit seinen Wunsch nach Gesprächsbeteiligung. Einige Konferenztools, wie Jitsi oder Zoom, bieten auch eine integrierte Meldefunktion.

Was spricht für die Videokonferenz 

... ohne Kamera?

  • Aus Gründen des Datenschutzes und zum Schutz der Privatsphäre sollte den Teilnehmenden die Nutzung der Kamera freigestellt sein. Niemand darf verpflichtet werden, sich vor der Kamera zu zeigen oder Fremden Einblick in die Privatwohnung zu gewähren. 
  • (Einige Tools bieten virtuelle Hintergründe, um die Privatsphäre der Teilnehmenden zu schützen.)
  • Auch wenn die Schüler*innen auf ihre Kamera verzichten, lasse ich meine eingeschaltet. Die Bildübertragung erleichtert ihnen das Verständnis und die Deutung meiner Aussagen und das videobasierte Klassenmeeting ist für sie abwechslungsreicher und interessanter.

... mit Kamera?

  • In der Gruppe wird die Interaktion lebendiger, der Austausch miteinander interessanter.
  • Die Körpersprache erlaubt Rückschlüsse auf die Befindlichkeiten der Teilnehmenden, das steigert die inhaltliche Verständlichkeit und reduziert Missverständnisse.
  • Bei eingeschalteter Kamera ist auch nonverbale Kommunikation möglich, etwa durch vereinbarte Zeichen für Zustimmung/Applaus oder Schilder, die in die Kamera gehalten werden
  • Die Teilnehmenden fühlen sich zu mehr Aufmerksamkeit verpflichtet, da Nebentätigkeiten sichtbar werden können. 

Nach ein paar Meetings, bei denen nur ich die Kamera eingeschaltet hatte, konnte ich meine Klasse 8 überzeugen, es mal mit Videoübertragung zu versuchen. Etwas zögerlich öffneten alle die Kamera und nach anfänglichen Unbehagen empfanden die Schüler*innen es als Gewinn, sich nicht nur zu hören. 

Didaktische Hinweise zur videobasierten Unterrichtsgestaltung

Legt man die bewährten Merkmale guten Unterrichts zugrunde, lassen sich daraus auch für videobasierte Lerneinheiten Hinweise ableiten. Welche besonderen Herausforderungen sich dabei ergeben und wie diesen begegnet werden kann, versuche ich hier zu klären.

Merkmale guten Unterrichts in Anlehnung an Hilbert Meyer
Merkmale guten Unterrichts in Anlehnung an Hilbert Meyer

Klare Strukturierung

Regeln vereinbaren

  • In der ungewohnten Situation müssen Regeln zum Datenschutz, zur Organisation des Austauschs und zum sozialen Umgang allen Beteiligten bekannt und vertraut sein.  Das spart Zeit und schafft Vertrauen. Tipps zur Organisation von Videomeetings mit Schüler*innen haben u. a. Bob Blume und Andreas Kalt zusammengetragen. Philippe Wampfler hat zum Datenschutz bei Videokonferenzen eine Infografik gestaltet. 

Transparente Rahmenbedingungen

  • Die Klassenvideokonferenz ist im Gegensatz zum Unterricht nacht Stundenplan nicht in einen zeitlich vorgegebenen Rahmen eingebunden. Um Transparenz und Verlässlichkeit herzustellen, müssen also Beginn und Ende der Lerneinheit abgesprochen werden. Je nach Alter der Lernenden kann es sinnvoll sein, die Lerneinheit zu kürzen, bzw. durch Pausen (die auch in die Erarbeitungsphase integriert sein können) zu gliedern, damit die Aufmerksamkeitsressourcen aufgetankt werden können. Pausen und Arbeitsphasen außerhalb des digitalen Klassenraums sollten angekündigt und eingehalten werden. Konzentriertes Arbeiten ist erfahrungsgemäß in einer videogestützten Lerneinheit maximal 60 Minuten inkl. einer schülerzentrierten Erarbeitungsphase in Kleingruppen möglich. 
  • Feste Regeln und Abläufe sorgen für Sicherheit und Transparenz. Nach dem inoffiziellen Warm-up kann ein wiederkehrendes Ritual den Stundenbeginn signalisieren. Ebenso kann ein Abschiedsritual das Ende des Meetings deutlich machen. 

Lernförderliches Klima

Warm-up

  • Der videobasierte Unterricht beginnt schon vor der eigentlichen Lernzeit. Etwa 10 - 15 Minuten vorher sollte die Lehrerin im virtuellen Raum eintreffende Schüler*innen begrüßen. Es ist Zeit für „inoffizielle Gespräche“, in denen die Lernenden wahrgenommen werden und die Beziehungsarbeit besonders im Fokus steht. Die soziale Interaktion innerhalb der Gruppe schafft eine Vertrauensbasis und ein lernförderliches Klima, denn die Atmosphäre im digitalen Unterrichtsraum wird vor allem sprachlich gestaltet. Auch technische Schwierigkeiten können in diese Zeit gelöst werden, so dass die Unterrichtszeit effizient genutzt werden kann. 

Rückversicherung/Tempo

  • Im Videomeeting fehlen mir wichtige Interaktionssignale der Schüler*innen entweder vollkommen oder können nur in reduzierter Form wahrgenommen werden. Während ich im klassischen Unterricht recht schnell bemerkt, wie aufmerksam die Lernenden sind, ob das Lerntempo angemessen ist, ein Gedankenschritt oder ein Arbeitsauftrag verstanden wurde oder Fragen aufwirft, fehlen mir solche Informationen im virtuellen Raum weitgehend. Eine regelmäßige Rückversicherung der Lehrkraft zu einzelnen Schritten, kann dieses Defizit reduzieren. Dazu spreche ich immer wieder gezielt verschiedene Schüler*innen namentlich an. So wird ihnen bewusst, dass ich jede*n individuell wahrnehme. Für Schüler*innen ist die stetige Rückversicherung ebenso ungewohnt, wie für mich. Deshalb ist wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen das namentliche Ansprechen nicht als Kontrolle verstehen, sondern ihnen das Vorgehen ankündigt und begründet wird. So wird Transparenz hergestellt und den Lernenden einen Teil der Verantwortung für das Gelingen der Videokonferenz übergeben. Gleichzeitig sind sie aufgefordert, jederzeit den Unterricht zu unterbrechen, um Fragen zu stellen oder (technische) Schwierigkeiten zu melden. 

Effiziente Zeitnutzung

  • Wenn die Klassenvideokonferenz technisch reibungslos läuft und die vorhandene Zeit wie geplant zum Austausch genutzt werden kann, ist das ideal, aber nicht immer realistisch. Umso wichtiger ist es, die Lerneinheit präzise zu planen, um die organisatorischen Voraussetzungen für einen flüssigen Verlauf zu schaffen.
  • Das Warm-up vor der eigentlichen Lernzeit, gemeinsam vereinbarte Regeln, eine bekannte Organisation und Struktur des Klassenmeetings fördern einen flüssigen Verlauf. Vorbereitend sollten zudem Materialien, Dokumente oder Links auf dem Bildschirm der Lehrkraft schnell verfügbar sein. So können etwa Programme oder Internetseiten auf dem Lehrergerät bereits geöffnet sein, sodass sie nur noch durch Teilen des Bildschirms für Teilnehmende sichtbar werden und nicht erst aufgerufen und geladen werden müssen.
  • Genauso wie im Klassenraum vor dem Unterricht Gruppenarbeitstische mit Material zur Entlastung der Stunde vorbereitet werden, müssen für digitale Gruppenarbeit virtuelle Räumen und Materialien bereitgestellt werden. (Philippe Wampfler stellt per Video Möglichkeiten zur Organisation digitaler Gruppenarbeiten vor.)
  • Hilfreich ist immer eine technische Kontrolle kurz vor Beginn des Unterrichts.
    • Liegen die notwendigen Dateien bereit?
    • Funktioniert das Teilen des Bildschirms?
    • Bin ich auf Webseiten eingeloggt, deren Angebot ich nutzen möchte?
    • Laufen alle Internet-Angebote einwandfrei?
    • Liegen Papier und Stift bereit, damit ich mir während des Meetings ggf. Notizen machen kann?

   Dabei sollte auch die Perspektive der Lernenden einmal ausprobiert werden, um evtl. Herausforderungen zu antizipieren.

  • Aller Vorbereitung und Planung zum Trotz. Es bleibt ein technisches Restrisiko. Oft braucht es Geduld, Gelassenheit und etwas Improvisationstalent. ... doch - selbst, wenn es technisch "ruckelt" - der direkte Austausch mit der Lerngruppe lohnt sich!

Inhaltliche Klarheit

Kommunikation

  • Die Kommunikation im digitalen Konferenzraum ist primär auf verbale Anteile beschränkt. Zwar können sich Teilnehmende per Video einblenden, doch verzichten Kinder und Jugendliche gerne darauf, sich im Meeting zu zeigen. Selbst wenn alle Beteiligten die Kamera aktivieren, ist die Bildqualität häufig nicht gut genug, um körpersprachliche Signale klar zu übertragen. Umso stärker ist meine Kommunikationsfähigkeit als Lehrkraft gefordert. Eine klare, deutliche Artikulation, eindeutig verständliche Formulierungen und eine souveräne Unterrichts- und Gesprächsmoderation sind dafür wesentliche Faktoren. Fehlende körpersprachliche Ausdrucksmöglichkeiten lassen sich durch stimmliche Variation ausgleichen. Eine abwechslungsreiche Intonation evtl. bist zur Übertreibung von Emotionen, macht die Moderation lebendig, schafft Abwechslung und erhöht die Aufmerksamkeit der Lernenden. Ebenso können deutliche Gesten und eine ausdrucksstarke, manchmal vielleicht sogar leicht übertriebene Mimik Aussagen unterstreichen. Besonders bei Gesten immer daran denken, dass der Bildausschnitt relativ klein ist und die Bewegung sich daher auf die Bildmitte konzentrieren muss, um wahrgenommen zu werden. 
  • Auf Seiten der Schüler- wie der Lehrer*innen kann es aufgrund der reduzierten Kommunikationssignale schneller zu Missverständnissen oder Fehlurteilen kommen.  Als Zuhörende muss ich bei der Beurteilung einer Situation diese veränderte, ungewohnte Kommunikationssituation berücksichtigen. Beantwortet ein*e Schüler*in eine Frage nicht, gibt es dafür viel mehr und deutlich andere Gründe als ich das aus dem Präsenzunterricht gewohnt bin.
  • Da die Rolle der verbalen Kommunikation im digitalen Klassenraum so bedeutsam ist, bietet der videobasierte Unterricht besondere Chancen, das aktive Zuhören bei Schüler*innen zu trainieren. Die Aufforderung in ihren Beiträgen auf einen von  ihren Mitschüler*innen genannten Aspekt einzugehen, eine Rückfrage dazu zu stellen oder einen Beitrag in eigenen Worten wiederzugeben, erfordert viel Aufmerksamkeit. Als kurze Phase kann die Lerngruppe spielerisch in Verbindung mit der bekannten "Meldekette" vor diese Herausforderung gestellt werden.
  • Die Stille, die manchmal im Unterrichtsgespräch auftritt, ist im digitalen Klassenraum schwerer auszuhalten und zu deuten, als im klassischen Unterricht. Dennoch muss ich den Lernenden Zeit geben. Wenn die Situation der Stille von der Lehrkraft gestaltet wird, ist sie für alle Beteiligten angenehmer. So formuliere ich sie explizit: "Damit ihr kurz in Ruhe darüber nachdenken könnt, bin ich jetzt mal still."                                                                                                                                                                                                                                                      
  • Der Chat, den jedes Konferenztool enthält, kann zur Intensivierung der Interaktion genutzt werden. Emojis können lachen, Verwunderung ausdrücken, Fragen aufwerfen oder Zustimmung signalisieren. Um nicht zusätzlich für Verwirrung zu sorgen, sollten die Bedeutung der Symbole mit der Gruppe abgesprochen werden. Achtung: Das Multitasking durch die Nutzung des Chats kann jedoch auch als zusätzliche Herausforderung empfunden werden. 

Variierende Methoden und Sozialformen

Die Herausforderung "Zoom Fatigue"

  • Videokonferenzen erfordern von allen Beteiligten ein hohes Maß an Konzentration, da nonverbale Kommunikation nur eingeschränkt möglich ist. Zugleich besitzt das digitale Gerät ein großes Ablenkungspotenzial und setzt dadurch ein hohes Maß an Selbstdisziplin voraus. So ist die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder und Jugendlichen oft geringer als im Präsenzunterricht. Philippe Wampfler macht darauf aufmerksam, dass es inzwischen eine offiziellen Erklärung gibt, weshalb Videokonferenzen so anstrengend sind: Zoom Fatigue. 

 Abwechslung + (Inter)Aktivität

  • Abwechslung und Interaktivität sind also besonderes im videobasierten Unterricht wichtige Aspekte, um die Lern- und Anstrengungsbereitschaft der Schüler*innen zu fördern. Lehrerzentrierte Phasen sollten daher möglichst kurz gehalten werden und schülerzentriertes Arbeiten deutlich im Zentrum der Lerneinheit stehen. Dem Flipped Classroom Konzept entsprechend können dazu beispielsweise Erklärungen per Video ausgelagert werden und der Einstieg durch ein interaktives Quiz oder ein Frage-Antwort-Tool wie fragmich.xyz oder Mentimeter erfolgen, das alle Teilnehmenden aktiviert.
  • Um ein Vielfaches leichter als im Präsenzunterricht ist es für Schüler*innen sich in der Videokonferenz zurückzuziehen und eine passiv-konsumierende Haltung einzunehmen. Um Mit-Denken zu fordern und zu fördern, ist es hier mehr denn je notwendig, den Lernenden möglichst viel Raum zur Aktivität und zum selbstständigen Arbeiten zu geben. Indem alle Lernenden beispielsweise beim interaktiven Brainstorming zur Reflexion aufgefordert  werden, schafft man Gesprächsanlässe für einen sprachlichen Austausch.
Mentimeter-Brainstorming zum Einstieg als Grundlage für die anschließende Diskussion
Mentimeter-Brainstorming zum Einstieg als Grundlage für die anschließende Diskussion

Kollaborationstools

Gruppenarbeit

  • Im digitalen Klassenraum gilt: kooperativen Lernformen, welche die Aktivität der Schüler*innen fördern und den Unterricht abwechslungsreich gestalten, kommt eine herausgehobene Bedeutung zu. Wie eine digitale Gruppenarbeit technisch organisiert werden kann, stellen Bob Blume und Philippe Wampfer vor.

Digitale Projektarbeit und Lernprodukte

  • Wenn Schüler*innen selbst produktiv werden können, erhöht das ihre Motivation. Der digitale Fernunterricht kann als Chance begriffen werden, (gemeinsam) digitale Lernprodukte zu kreieren. Selbstverständlich können auch Einzelprodukte erstellt und im Meeting präsentiert werden, doch ist der Motivationsfaktor und häufig auch der Lernerfolg bei der Produktion und Präsentation eines gemeinsamen Produkts ungleich höher. Wie viele kreative Möglichkeiten es gibt, zeigt das Ergebnis des kurzen Brainstormings im #Twitterlehrerzimmer.
  • Erfahrungsberichte können bei der Planung helfen. Markus von Amsberg berichtet über die Herausforderung und Lernchance als Projektarbeit digitale Lernprodukte erstellen zu lassen. Im Deutschunterricht haben meine Schüler*innen vor einiger Zeit "Grammatiksnacks" erstellt. Ein Projekt, dass auch gut per Fernunterricht funktionieren könnte. 

Peer-Feedback

  • Der videobasierte Unterricht stellt uns vor viele Herausforderungen, doch lassen sich einige davon auch als Chance begreifen. Insbesondere der eben dargestellte verbal-kommunikative Aspekt rückt durch das Format in den Fokus und verdient besondere Beachtung. Im Hinblick auf inhaltliche Klarheit  gilt das für mich als Lehrende im Bereich "Moderation und Kommunikation". Doch ich kann und will ja nicht nur moderieren, sondern versuche - besonders im digitalen Klassenraum - einer lehrerzentrierten Kommunikation vorzubeugen. Dazu  kann etwa das Schülerfeedback stärker akzentuiert werden. Lernende zu konstruktivem Peer-Feedback anzuleiten, ist auch im klassischen Unterricht ein lohnendes Ziel, denn nach Hattie (1) gehört Feedback zu den meistverbreiteten Merkmalen erfolgreichen Unterrichtens und Lernens. Am sinnvollsten ist es, wenn es sich auf im Unterricht Erarbeitetes bezieht und den Lernprozess begleitet. Hattie stellt gleichzeitig fest, dass 80 Prozent des verbalen Feedbacks von Peers stammt, die meisten dieser Informationen allerdings falsch seien (2). Diese Feststellung ist erschreckend und verdeutlicht, wie notwendig und gewinnbringend es für Schüler*innen ist, zu lernen, wie man konstruktives Feedback formuliert. Trainiert werden kann dies mündlich wie schriftlich. Das digitale Setting bietet die Chance, Arbeitsergebnisse kriteriengeleitet durch Mitschüler*innen begutachten zu lassen. Ein eigener Chat, Konferenzraum oder ein kollaborativ nutzbares Tool ermöglichen das direkte Feedback unter den Lernenden. Dazu können die Beiträge beispielsweise per Etherpad oder Padlet geteilt und durch Peers kommentiert werden. (1) vgl. Hattie, S. 131. (2) vgl. ebenda, S. 149.
  • Fördere ich im digitalen Klassenraum die Entwicklung der Feedback-Kompetenz, erziele ich einen mehrfach positiven Effekt: Ich kann mich als Lehrperson zurückziehen, nutze das Peer-Feedback, um in der digitalen Unterrichtssituation Hemmschwellen abzubauen und gebe den Lernenden Gelegenheit zum Einüben dieser Schlüsselkompetenz. 



Schülerorientierung / Komplexe Motivierung

Einbindung aller Lernenden

  • Bei einigen Konferenztools (z. B.  Teams) werden nicht alle Teilnehmenden ständig eingeblendet. Als Lehrende sollte man auch den „unsichtbaren“ Aufmerksamkeit schenken und diese immer mal wieder, etwa zur Rückversicherung, namentlich ansprechen.
  • Insgesamt müssen sich alle Beteiligten daran gewöhnen, dass der Unterricht in dieser Form langsamer und weniger dynamisch verläuft, als im Klassenzimmer.
  • Um allen Lernenden Beteiligungsmöglichkeiten anzubieten, können Frage-Antwort-Tools genutzt werden. Die Möglichkeit, eine Frage oder Anmerkung anonym in die Gruppe zu stellen, senkt die Hemmschwelle der Beteiligung, die das ungewohnte Format für einige Kinder und Jugendliche mit sich bringt.

Differenzierung und individuelles Lernen 

  • Zur Differenzierung und individuellen Förderungen müssen Lern- und Arbeitsphasen außerhalb der Videokonferenz eingeplant werden. Gruppen- oder Projektarbeiten bieten sich hier an. 

Intelligentes Üben

Eigene Lern-und Übungsstrategien können nur entwickelt werden, wenn Schüler*innen Freiräume gewährt werden. Das kann in Einzelarbeit oder besser in kollaborativen Gruppen- bzw. Projektarbeiten erfolgen. 

 


Wirkungs- und Kompetenzorientierung

  • Gerade ein so ungewohntes Format wie der videobasierte Unterricht macht eine regelmäßige Rückmeldung der Schüler*innen zum Unterricht notwendig. Das digitale Setting erleichtert die Nutzung von Evaluationstools und ermöglicht damit eine regelmäßige Befragung der Lernenden. 

Beispiel einer videobasierten Unterrichtsstunde nach dem klassischen Phasenmodell

Da das Format des "videobasierten Unterrichts" für viele grundlegend neu und damit herausfordernd genug ist, kann es hilfreich sein, bei der Gestaltung auf die klassische Phasierung zurückzugreifen. Wie lässt sich diese Struktur auf eine Klassen-Videokonferenz übertragen? 

 

Zusammengefasst vorweg: Weniger ist mehr!

  • Die Beschränkung auf einige Tools, die in verschiedenen Phasen zum Einsatz kommen, schafft Sicherheit im Umgang und reduziert auch den zeitlichen Aufwand, der entsteht, wenn immer wieder ein neues Tool vorgestellt oder geladen werden muss. 
  • Kurze  lehrerzentrierte Phasen lassen Platz für mehr Schüleraktivierung, selbstständiges Arbeiten, kooperative Lernformen und kollaborative Projektarbeiten. 

Phase

Ideen/Anmerkungen zur Umsetzung im videobasierten Unterricht


ggf. vorbereitende Aufgaben zur Stunde

(Einzelvorbereitung)

  • (interaktives) Erklärvideo (Interaktivität per H5P)
  • Impulsvideo
  • Text
  • ...

Warm-up

(Gemeinsam im virtuellen Klassenraum)

  • inoffizielle Talkrunde, Beziehungsarbeit
  • gemeinsames "Turnen" als Lockerungsübung (bei eingeschalteter Videokamera) 
  • Kritzelboard (z. B.: Flinga)
  • ...

Einstieg

(Gemeinsam im virtuellen Klassenraum)


Erarbeitung

(virtuelle Arbeitsräume je Gruppe)

  • innerhalb der Stunde
  • über einen längeren Zeitraum
  • falls Input:  (interaktives) Erklärvideo (H5P), um individuelles Lerntempo zu ermöglichen, auch als vorbereitende Aufgabe zur Stunde

 

  • Kollaborative Gruppenarbeit (Etherpad, Padlet, Flinga, draw.chat, ...)
  • Biparcours (digitales Lern- und Aufgabenarrangement)
  • Webquest (angeleitete Internetrecherche zur Leitfrage)
  • auch: Arbeitsaufträge für die Einzelarbeit
  • digitale Projektarbeiten (über einen längeren Zeitraum)
  • ...

Präsentation

(Gemeinsam im virtuellen Klassenraum 

oder durch Kleingruppen als konstruktives Feedback mit anschließender Zusammenfassung und ggf. Ergänzung)

  • "Ausstellung" der Ergebnisse durch Teilen von Links (s. o.)
  • Schüler*innen formulieren schriftliches Feedback konstruktiv
  • gemeinsamer Austausch im Plenum
  • ...

 

  • Anmerkung: Schüler*innen können natürlich ihr Ergebnis mündlich vorstellen. Doch auch hier gilt es, diese Phase kurz und abwechslungsreich zu gestalten. Eine wertschätzende und gewinnbringende Präsentation kann beispielsweise erfolgen, indem die Lernenden ihre Ergebnisse in eigenen virtuellen Räumen gegenseitig konstruktiv kommentieren, damit anschließend im Plenum eine kurze Zusammenfassung und exemplarische Auswertung stattfindet. 
  • Analog und digital lässt sich verbinden, wenn etwa bei Padlet Fotos von Hefteinträgen hochgeladen und durch Mitschüler*innen kommentiert werden. 

Sicherung

  • Die Ergebnisse müssen allen Lernenden strukturiert zugänglich gemacht werden. Ein zentraler Ablageort und eine verständliche, klare Bezeichnung von Dokumenten oder Beschreibung von Links helfen, Übersichtlichkeit zu wahren. So wird für die Schüler*innen auch über einen längeren Zeitraum der Unterrichtsverlauf nachvollziehbar dokumentiert.
  • Padlet, Trello, HackMD
  • ...

Ausklang

  • Kurzevaluation per Mentimeter, Oncoo, Edkimobittefeedback.de
  • Fazit ziehen per Chatfunktion im Konferenztool (Alle Teilnehmenden fassen ihr Fazit in einem Satz zusammen und senden ihr Statement zeitgleich ab.)
  • gemeinsames Winken zum Abschied
  • (viele Spiele wie etwa "Montagsmaler" oder "Hangman" lassen sich auch  im virtuellen Klassenraum gemeinsam spielen.)
  • ...
  • Anmerkung: Wenn die Lehrer*in den virtuellen Klassenraum als erste*r verlässt, haben die Kinder und Jugendlichen Gelegenheit zu privaten "Schulhofgesprächen". 


Literatur

  • Hattie, John: Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen: Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von "Visible Learning for Teachers" besorgt von Wolfgang Beywel und Klaus Zierer. Baltmannsweilter, 2014. 

Weiterführende Links

Erfahrungsberichte

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Kommentare: 16
  • #1

    Natascha Duesing (Freitag, 01 Mai 2020 11:25)

    Der Artikel ist eine wirkliche Bereicherung für mein Arbeiten im Fernunterricht. Ich werde ihn sofort mit meinen Referendaren und Referendarinnen besprechen. :-)

  • #2

    Stefan Freitag (Samstag, 02 Mai 2020 18:20)

    Ich bedanke mich für diese wirkliche Bereicherung im Wust der vielen Äußerungen zum Thema!
    Der Artikel ist äußerst gelungen und wird meine Seminararbeit erweitern!
    Danke
    Stefan Freitag
    (Studienseminar Sonderpädagogik Förderschwerpunkt Lernen 1 in Oberfranken)

  • #3

    stefaniepadberg@gmx.de (Sonntag, 03 Mai 2020 09:10)

    Super hilfreich!!!!!
    Danke!!!!

  • #4

    Sun2you (Sonntag, 03 Mai 2020 10:20)

    Top ����- werde ich für meine Seminararbeit verwenden! Ein dickes Dankeschön! �‍♀️

  • #5

    Herr Mess (Montag, 04 Mai 2020 10:34)

    Wow! Wird sofort ans Kollegium weitergeschickt. Was für eine Arbeit! Viel Erfolg dir weiterhin!

  • #6

    A. Hoh (Montag, 04 Mai 2020 14:01)

    Wirklich sehr gut! Genau das, was eine (angehende) Lehrkraft jetzt braucht.
    Ich werde diesen Artikel auch für meine Seminararbeit mit den Refs nutzen. Danke!

  • #7

    B. Schirner (Montag, 04 Mai 2020 15:00)

    Wird sofort in die Seminararbeit eingebaut ! Super

  • #8

    T. Bock (Dienstag, 05 Mai 2020 15:03)

    Dir einen Dank. Habe den Artikel schon mehrfach geteilt und meinen Kollegen und LAA zur Verfügung gestellt! Erzeugt Handlungssicherheit an allen Seiten des Schreibtischs (FL und LAA)....Auf bald! Tobi

  • #9

    Herb (Dienstag, 05 Mai 2020 20:59)

    Total genial! Bringt mich wieder einen schritt weiter......

  • #10

    Tschessja Humburg (Dienstag, 19 Mai 2020 20:07)

    Herzlichen Dank für diesen wertvollen und anregenden Beitrag. Es hat mich dazu bewogen, mit der neuen Referendarsgruppe - die noch nicht eine einzige Klasse / Lerngruppe live gesehen haben ): - einen Workshop zu gutem, videobasierten Unterricht durchzuführen. Dank diesem Beitrag kommen wir in unserem Seminar im STS Osnabrück LBS einen großen Schritt voran!

  • #11

    Martina Weber (Sonntag, 31 Mai 2020 10:27)

    Vielen Dank, Frau Sonnig-

    ich suche gerade nach gut strukturierten Materialien für meine interne Fortbildungsreihe, die ich bis zu den Sommerferien halten will. Fühle mich dabei zwischen Idiotin und Größenwahn und habe mit Ihrem Blog den Beweis, dass ich nicht total auf dem Holzweg bin...

  • #12

    Claudia Scharfenberger (Donnerstag, 04 Juni 2020 17:46)

    Ein sehr hilfreicher und qualifizierter Beitrag! Habe ich gleich in mein Padlet zum digitalen Deutschunterricht für meine Referendar*innen hochgeladen. Danke!

  • #13

    Martina Walk (Dienstag, 17 November 2020 20:21)

    Ein sehr gelungener Beitrag! Toll!

  • #14

    Karola (Montag, 21 Dezember 2020 14:14)

    Super Seite mit tollen Ideen. Vielen Dank, dass Sie diese der "Digitalen Fortbildungsoffensive" zur Verfügung gestellt haben.

  • #15

    Alina (Samstag, 09 Januar 2021 17:35)

    Toll, wie Sie ‚Die Merkmale guten Unterrichts‘ von Meyer auf den videobasierten Unterricht gemünzt haben.

  • #16

    Mathias Magdowski (Samstag, 01 Mai 2021 22:55)

    Kleinen Tippfehler gefunden: "bist zur Übertreibung"
    Der Kommentar kann dann gern gelöscht werden.