Peer-Feedback in der Deutscharbeit

Um zeitgemäßen Unterricht zu etablieren, braucht es zeitgemäße Prüfungsformate. Im #Twitterlehrerzimmer ist das eine Binsenweisheit. Mit der ergänzenden Empfehlung zur Strategie in der digitalen Welt vom 09.12.2022 setzt die KMK nun Impulse zur Erprobung neuer Prüfungsformate, in denen neben fachlichen Kompetenzen auch die 4K zum Tragen kommen sollen.

Wunderbar! Doch wie lassen sich diese neuen Formate im Deutschunterricht realisieren? Innovative Beispiele engagierter Kolleg:innen finden sich auf den Seiten des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur. Dort werden vielfältige, beeindruckende, kreative und engagierte Projekte vorgestellt, die mich inspirieren und motivieren. 


Eine kleine und einfach umsetzbare Idee als erster Schritt auf dem Weg hin zu einer zeitgemäßen Prüfungskultur praktiziere ich seit Januar 2022. Sie erscheint mir im Deutschunterricht für jeden Klassenarbeitstyp geeignet. Dabei wird schwerpunktmäßig der Gestaltungsraum „Feedback“ des „Didaktischen Schiebereglers“ geöffnet, indem ich Feedback als Teil der Aufgabenstellung nutze. Natürlich lassen sich auch weitere Öffnungen kombinieren. Idealerweise steht den Schüler:innen für die Feedback-Phase ein eigener Raum zur Verfügung.


Legitimation

Schreibdidaktik

Nimmt man den Schreibprozess als Dreischritt aus "Planen - Formulieren - Überarbeiten" ernst, wird deutlich, dass insbesondere der Schritt des Überarbeitens im Deutschunterricht häufig und in der Deutscharbeit eigentlich immer zu kurz kommt. Um dem zu begegnen, nutze ich als Zwischenschritt zur Förderung der Überarbeitungskompetenz Peer-Feedback in meinen Deutscharbeiten. 

Schülerinnen und Schülern fehlt oftmals die kritische Distanz, eigene Lernprodukte zu reflektieren. Dagegen fällt ihnen die Fremdbeurteilung leichter und bietet gleichzeitig eine Grundlage zur selbstkritischen Betrachtung eigener Lösungen. 

Basis des Peer-Feedbacks sind gemeinsam erarbeitete, konkrete Kriterien. Diese helfen Lernenden konstruktive Kritik durch konkrete Verbesserungsvorschläge zu formulieren.  Die schriftliche Kommentierung nimmt den geschriebenen Text in den Fokus, die Gleichrangigen begutachten untereinander ihre Arbeitsergebnisse. So wird außerdem ein Perspektivwechsel vollzogen, durch den die Begutachtenden in ihrer Fachkenntnis ernst genommen werden.

Kernlehrplan Deutsch Sek I NRW

Im Unterricht spielt konstruktives Peer-Feedback, ob mündlich oder schriftlich formuliert, eine wichtige Rolle. Der Kernlehrplan Deutsch Sek I NRW formuliert als Kompetenzerwartung bis zum Ende der Sekundarstufe I:

 

"Schülerinnen und Schüler können

  • Feedback an Kriterien ausrichten und konstruktiv gestalten." (S. 24) 

Im Hinblick auf die Gestaltung des Schreibprozesses werden Überarbeitungskompetenzen erwartet:

 

"Schülerinnen und Schüler können

  • Verfahren zur Planung, Gestaltung und Überarbeitung eigener Texte unterscheiden und einsetzen,
  • die Möglichkeiten digitaler Textverarbeitung in Schreibprozessen zielgerichtet einsetzen" (S. 23)

In schriftlichen Leistungsüberprüfungen durften die Schüler:innen ihre Feedback-Kompetenzen jedoch weder zeigen noch nutzen. Was nicht prüfungsrelevant ist, erscheint Lernenden oftmals auch nicht bedeutsam.

 

Ergänzende Empfehlung zur Strategie "Bildung in der digitalen Welt" (S. 13) vom 09.12.2021

  • Der in den Ländern genutzte Katalog an Prüfungsformaten besteht zurzeit mehrheitlich aus Prüfungsaufgaben, die analoges Material in einem festgelegten Zeitraum einzeln und handschriftlich bearbeiten lassen. [...] Zukünftige Prüfungsformate beziehen daher auch verstärkt Kreativität, Kollaboration, kritisches Denken und Kommunikation mit ein. Notwendig ist dabei in diesem Zusammenhang beispielsweise die Entwicklung von Prüfungsformaten, die unter anderem die Kompetenzen bei der Fähigkeit zur kollaborativen Zusammenarbeit überprüfen. Insgesamt sind bisherige Prüfungsformen um offenere Formate zu erweitern.

Umsetzung

Variante A

  • Die Schüler:innen verfassen im Unterricht entsprechend der behandelten Textsorte einen Text. Abhängig von der digitalen Ausstattung der Lerngruppe kann dies handschriftlich oder digital erfolgen. Damit die handschriftlichen Texte Raum zur Überarbeitung bieten, bleibt nach jeder Zeile eine Zeile frei.
  • Zu jedem Text verfasse ich ein kurzes (drei Aspekte betreffendes), kriterienorientiertes Feedback.
  • Als Klassenarbeit erhalten die Schüler:innen ihre Texte mit meinem Feedback zurück. Ihre Aufgabe ist die Überarbeitung der Texte.

Variante B

  • Die Schüler:innen erhalten die Aufgabe als Klassenarbeit. 

  • Wer fertig ist, wartet im Feedbackraum auf eine:n Feedbackgeber:in. Hat sich ein Paar gefunden, trägt es sich im Feedbackprotokoll ein. So habe ich während der Klassenarbeit eine Übersicht, wer diese Aufgabe bereits erledigt hat und eine Suchhilfe bei der Korrektur. Nun werden die Texte ausgetauscht, um ein gegenseitiges, schriftliches Feedback zu verfassen. 
  • Mithilfe des erhaltenen Feedbacks erfolgt die zweite Überarbeitung des eigenen Textes. Wer früh fertig ist, hat Gelegenheit, sich ein weiteres Feedback abzuholen. 

Bewertet werden:

    • der überarbeitete Text nach den üblichen Kriterien,
    • das gegebene Feedback nach den Kriterien konstruktiver Gestaltung und textsortenspezifischer Kriterienorientierung.
  • Die Schüler:innen bekommen eine Kopie ihres Feedbacks mit der Arbeit zurück.
  • Tipp: Die Feedbackphase und anschließende Überarbeitung erfordert Zeit. Daher nutze ich für dieses Format immer das laut schulinternem Lehrplan größtmögliche Zeitfenster (und manchmal auch die Pause ;-).  Durch die Aufgabenstellung lässt sich der Zeitbedarf für das Verfassen der ersten Textversion (Variante B) steuern.

Diskussion

Bei der Ideenentwicklung stellte ich mir einige Fragen, die ich mit den Lernenden vor der ersten Durchführung diskutierte:

 

Ergibt sich eine Ungleichbehandlung durch besonders hilfreiches oder nicht sinnvolles Feedback?

  • Meine Schüler:innen sehen die Problematik nicht so wie ich. Ihnen ist Feedback generell wichtig. Tatsächlich ist es schon hilfreich, einen fremden Text zu lesen und vor dem Hintergrund den eigenen Text erneut zu bearbeiten. Im Idealfall bekommen die Lernenden zweimal Feedback. Die Feedbacknehmenden entscheiden selbst, ob und wie sie Feedback annehmen möchten. Auch das ist Teil der Feedbackkompetenz.
  • Teil der Klassenarbeitsaufgabe ist es, ein Feedback zu verfassen. Dieses ist auch für die Bewertung relevant. Wer zwei Feedbacks formuliert, erhält unter dem Punkt "Du erfüllst ein weiteres, aufgabenbezogenes Kriterium" ggf. Zusatzpunkte. 

Wie gehe ich damit um, wenn Schüler:innen keine konstruktiven Verbesserungstipps finden? 

  • Gerade leistungsschwachen Lernenden fällt es schwer, Tipps für gute Texte zu formulieren. Deshalb können sie alternativ ausführlich positives Feedback geben, das allerdings kriterienorientiert begründet werden sollte.

Perspektive der Lernenden: Was ist anders?


Sicherlich gibt es noch offene Fragen oder Optimierungsideen. Deshalb freue ich mich auf Feedback!

Literatur

Kommentare: 2
  • #2

    Mathias Magdowski (Sonntag, 28 August 2022 20:42)

    Ich finde die Idee auch sehr spannend. Wir nutzen Peer Review und Peer Feedback schon sehr häufig mit guten Erfahrungen für semesterbegleitenden Einreichungen (siehe z.B. https://mathiasmagdowski.wordpress.com/2020/08/14/personalisierbare-aufgaben-und-anonymer-peer-review/). Wenn man jede Einreichung von mehreren Peers begutachten lässt, mitteln sich abweichende Einzelmeinungen auch schnell raus. Für Prüfungen im ingenieurwissenschaftlichen Bereich möchte ich das auch mal einsetzen. Ideen dazu gibt es hier: https://twitter.com/MMagdowski/status/1409950308701253634

  • #1

    Ina (Dienstag, 23 August 2022 19:45)

    Tolle Idee! Wie geht es SuS, wenn sie kein hilfreiches Feedback bekommen? Gibt es nicht manchmal das Gefühl “das ist aber unfair: Susanne (die so gut ist) hat Feedback von Max (der auch so gut ist) bekommen, aber ich nur von Marie (die selbst keine Texte schreiben kann). Kein Wunder, dass ich wieder eine 4 habe und Susanne eine 1.”
    Danke!